Einblicke in die dunklen Seiten Südafrikas
In Kapstadt ist diese Woche nicht wirklich viel passiert. Das Wetter ließ auch nicht allzuviel Aktivität zu - es war heiß!!! Gott sei Dank hat das Backpackers einen Swimmingpool, den ich nach der Arbeit regelmäßig in Anspruch nehme, auch wenn das Wasser darin nicht wirklich kalt ist. Am Mittwoch war gar der wärmste Novembertag in Kapstadt seit 1972: 38,7° C! Bei Hyperactive beschließen wir daher, eine Stunde früher Feierabend zu machen und dafür am nächsten Morgen eine Stunde früher anzufangen. Ausgerechnet heute fällt dann in Sea Point und Green Point am Nachmittag auch noch der Strom aus. Kühle Getränke bleiben für einige Stunden ein verzweifelter Wunsch. Folge der Hitze sind leider auch zahlreiche Waldbrände. Am Dienstag und Donnerstag gehen jeweils etwa 40 Brandmeldungen ein. Einen Waldbrand auf dem Signal Hill, oberhalb von Green Point kann ich auf dem Weg zur Arbeit vom Mini-Taxi aus live miterleben. Die Flamen nähern sich schon bedrohlich den ersten Gebäuden. Auch für Donnerstag sind wieder 34° C angekündigt. Also geht's wieder in kurzer Hose und Birkenstock-Latschen ins Büro. Tja, Pech gehabt, heute bleibt es den ganzen Tag bewölkt und kalt. Trotz der etwas unangemessenen Kleidung bin ich aber ganz froh über die Abkühlung. Weniger schön ist aber, daß das kalte, und dann auch nasse Wetter das ganze Wochenende über anhält - jetzt hätte man ja mal ganz gut zur False Bay zum Baden fahren können.
Statt dessen fahre ich am Freitag Abend mit Debbie (das war die Schwester, der Freundin von Ian, die auch mit auf der Weintour war) zum Blouberstrand. Der Strand ist eigentlich berühmt für die schönen Bilder vom Tafelberg und Kapstadt, die man von hier schießen kann, und die so viele Postkarten zieren. Auch Robben Island, die ehemalige Gefängnisinsel, ist ganz nah. Bei den richtigen Lichtverhältnissen schimmert der Tafelberg in einem magischen blauen Licht, daher auch der Name des Strandes. Leider sieht man heute über den Lichtern Kapstadts statt dem Tafelberg eigentlich nur eine Mischung aus Nichts und Wolken. Zumindest aber der Signal Hill sticht manchmal aus den Wolken heraus. In den letzten Jahren sind hier viele neue Häuser entstanden, vor allem Ferienhäuser der reichen Farmer, Joburger und Ausländer, sowie zahlreiche Restaurants und Hotels. Nach dem Essen fahren wir dann noch zur UCT, der University of Cape Town, an der Debbie kürzlich ihren Abschluß in BWL gemacht hat. Die Uni liegt auf einem Berg und bietet einen grandiosen Ausblick auf die Stadt, die Nachts aus einem Meer von Lichtern besteht. Auch wenn es mit dem Land in vielerlei Hinsicht bergab geht, ist der Campus zumindest äußerlich in einem besseren Zustand als die meisten deutschen Unis. Das mag wohl auch an den horrenden Studiengebühren liegen, die hier leider fällig werden.
Der Samstag ist kalt und verregnet. Am späten Vormittag fahre ich zum District Six Museum in die Innenstadt. Das Museum erinnert an die Konsequenzen des Group Area Act, nach dem Schwarze und Farbige während der Apartheid nur noch in bestimmten Gebieten leben durften, und an die brutale Umsiedlung der Bewohner des District Six in die Townships in den Cape Flats. In den sechziger Jahren ist das Gebiet des District Six, nahe dem Bahnhof und der Castle of Good Hope, in dem vor allem Schwarze und Coloureds lebten, zu einem "Whites-Only"-Gebiet erklärt worden. Über einen Zeitraum von 15 Jahren sind von hier über 60.000 Menschen zwangsumgesiedelt worden in die weit entfernten neu errichteten Townships Langa, Nyanga und Mitchells Plain. Das ganze Gebiet wurde mit Ausnahme einiger Kirchen dem Erdboden gleichgemacht. Es sollten hier Häuser für die weiße Mittelschicht entstehen. Auch gab es den absurden Plan, hier Luxusapartments für die Abgeordneten des in den 80er Jahren eingerichteten, aber völlig machtlosen, Parlaments der Coloureds zu errichten. Statt dessen ist hier mit Ausnahme des Cape Technikons und einer Polizeikaserne nie wieder etwas gebaut worden. Zu sehr belastet ist das Viertel mit seiner Geschichte. In den letzten Jahren sind aber Pläne aufgekommen, das Gebiet unter Mitwirkung der von hier Vertriebenen wieder neu zu erschließen und zu besiedeln. Im Zentrum des Museums stehen vor allem die Menschen, die hier gelebt haben. Es soll vor allem auch eine Begegnungsstätte sein, in der ein Stück Vergangenheit dieser Menschen bewahrt wird, die von dem ehemaligen Regime mit Bulldozern und Abrißkeulen ausgelöscht worden ist. Mit Hilfe vieler Bilder und Erlebnisberichte wird das Leben der Menschen im District Six nachgezeichnet, wie sie gewohnt und gearbeitet haben, zum Einkaufen und zur Schule gegangen sind. Sehr geschickt werden an verschiedenen Stellen auch Tondokumente eingesetzt, die eine enorme Authentizität aufkommen lassen. Der Boden im Erdgeschoß wird von einem riesigen Stadtplan des District Six dominiert. Zahlreiche Schautafeln und Texte erläutern die Geschichte und Entwicklung dieses Stadtviertels, das nach und nach systematisch zu einem Slum gemacht und schließlich ausgelöscht wurde. Man kann eine originalgetreu hergerichtete Wohnung besuchen, sich eine lokale Jazzband anhören oder Kindern beim Spielen lauschen. Von der Decke hängt ein mittlerweile 1 km langes Tuch, auf dem zahlreiche ehemalige Bewohner ihre Botschaft hinterlassen haben. Im hinteren Teil gibt es einen großen Begegnungsraum und ein kleines Café, in dem die Samosas gerade leider ausverkauft sind, weshalb ich mich mit Tee und Keksen begnügen muß. Der kleine Souvenirladen hat einige interessante Bücher im Angebot, die aber leider wie immer sehr teuer sind.
Den Rest des Tages hänge ich eigentlich nur ab, lese und gehe etwas am Strand in Sea Point spazieren. Abends gehe ich noch auf zwei Bierchen mit Andy und Keith in einen Pub namens Manhattan.
Sonntag geht es schon früh nach Mitchells Plain. Um 9:00 Uhr treffe ich mich dort mit Errol und Steven und wir fahren zu einer katholischen Kirche in Gugulethu, einem schwarzen Township. Gugulethu ist im Rahmen der Räumung des District Six entstanden. Wie die meisten von Kapstadts Townships besteht Gugulethu aus einem Kern von Steinhäusern, um den sich nach und nach immer mehr sogenannte Squatter mit ihren selbstgezimmerten Hütten und Bretterverschlägen angesiedelt haben. In den letzten Jahren wird verstärkt versucht, auch diese Ansiedlungen mit der notwendigsten Infrastruktur wie Wasserstellen und Strom zu versorgen. Um die Zahlung der Stromrechnung sicherzustellen, hat man sich ein Pre-Paid-System einfallen lassen. In verschiedenen Geschäften kann man Karten mit einem bestimmten "Stromguthaben" kaufen. Auf den Karten sind ewig lange Nummern, die man an einem Verteilerkasten eingeben muß und wie durch ein Wunder wird für die eigene Bleibe der Strom freigeschaltet. Die meisten Bewohner bevorzugen jedoch noch immer die preiswertere Variante, Kabel illegal an Straßenlaternen anzuklemmen und, zum Teil über Autobahnen hinweg, zu ihren Häusern zu ziehen. Rechtliche Konsequenzen gibt es in der Regel nicht, jedoch wird der Unmut derer, die regelmäßig brav ihre Stromrechnung bezahlen immer größer. Jeden Monat kommen tausende neuer verzweifelter Xhosa aus den ländlichen Regionen des Eastern Cape nach Kapstadt, in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben. Das neue Leben beginnt dann in meist in einem Squatter Camp und Arbeit gibt es auch nur für die wenigsten. Bis 2004 wird erwartet, daß die Bevölkerung Kapstadts um eine halbe Million anwächst. Das Department for Building and Housing ist aber nur in der Lage, für ca. 60.000 Menschen eine Bleibe zu schaffen. Diese besteht meist aus ca. 20qm großen "Häusern", die wie Dominosteine in langen Reihen aufgestellt werden. Ein Raum, inklusive Toilette, in dem die ganze Familie lebt, Wert ca. R7.500 (DM2.200). Oft genug ist es geschehen, daß Familien, denen ein Haus zugesprochen worden ist, dieses wieder verkauft haben und ins Squatter Camp zurückgezogen sind. Ein anderer Ansatz ist der, eine große Fläche mit Straßen, Licht, Strom- und Wasseranschlüssen auszustatten und zur Besiedlung freizugeben. Ein große Fläche dieser Art haben wir letztes Jahr noch völlig leer vorgefunden. Heute glaubt man, das Gebiet sei schon seit Jahren dicht besiedelt.
Leider ist die Kirche schon fast so was wie eine Touristenattraktion geworden. So steht auch ein großer Reisebus auf dem Parkplatz. Die Stimmung in der Kirche ist genial. Es gibt zwar einen Chor, von dem man sogar eine CD kaufen kann, aber die ganze Gemeinde singt mit voller Kraft mit, so daß man den Chor eigentlich nicht heraushören kann. Eine Orgel gibt es nicht, dafür aber ein mächtiges Holzxylophon, das von drei Frauen gleichzeitig bedient wird. Und überall wird kräftig geklatscht und in einigen Ecken auch getanzt. Die Messe wird zum Teil auf englisch, hauptsächlich aber auf Xhosa gehalten. Interessanterweise erkennt man viele aus Deutschland bekannte Gebete am Rhythmus wieder. Beeindruckend klingen dabei vor allem die in der Xhosa Sprache üblichen Schnalz- und Klicklaute, wenn sie von 200 Betenden gleichzeitig ertönen.
Nach der Messe fahren wir zu Vivienne, einer Arbeitskollegin von Errol, die in Gugulethu lebt und die wir auch auf unserer Reise im letzten Jahr besucht hatten. Der Empfang ist mal wieder sehr herzlich, auf wenn wir leider gerade etwas unpassend kommen. Das Wohnzimmer ist völlig ohne Möbel und Vivienne beseitigt gerade die letzten Überreste eines 2-tägigen rauschenden Festes. Ihr 21jähriger Sohn, so erklärt sie uns, ist gestern nach traditionellem Brauch in den Busch zur Initiationsschule verabschiedet worden. Einige Wochen werden er und andere junge Xhosa dort in Hütten leben und nach verschiedenen Ritualen als Männer zurückkehren. Ich bin recht erstaunt, daß diese Tradition nicht nur in der ländlichen Transkei sondern auch mitten in Kapstadt noch aufrechterhalten wird. Ich soll unbedingt zur Willkommensparty in einigen Wochen kommen und viele Photos machen, die ich dann in Deutschland zeigen kann. Na, das laß ich mir nicht zweimal sagen. Wird bestimmt ziemlich interessant. Ich würde auch nicht der einzige Weiße sein, da ihr Sohn viele weiße Freunde habe, versucht Vivienne eventuelle Sorgen zu zerstreuen.
Da sitzen wir nun, in einem kahlen Raum auf einfachen Holzbänken mit einer kalten Dose Limonade in der Hand mitten in Gugulethu. Gelegentlich kommen irgendwelche Männer zur Tür herein, grüßen uns und verschwinden durch eine andere Tür in den nächsten Raum. Wie in fast allen afrikanischen Häusern, hat auch hier ganz klar die Frau die Hosen an. Die Rolle des Mannes ist es nach wie vor, groß, stark und mutig zu sein. Da es heute aber keine Kriege mehr gibt, macht man das am besten mit einem Bier in einem der zahlreichen Shebeens, kleinen illegalen Kneipen, meist in irgendeinem privaten Wohnzimmer, die es hier an jeder Straßenecke gibt. Viviennes Mann scheint da eine rühmliche Ausnahme zu sein, sitzt aber wie im letzten Jahr nur still in der Ecke. Viviennes alte Tante erklärt, wie froh sie sei, daß die Apartheid nun endlich vorbei sei und sich alle Kulturen und Hautfarben jetzt näherkommen können, aber auch, daß dieser Prozeß sicher noch viele Jahre brauchen wird. Dann erzählt sie, wie sie einmal von zwei weißen Kindern gefragt worden sei, warum denn ihre Handflächen so hell wären, wo sie doch eigentlich schwarz sei. Sie habe gesagt, das sei so, weil Gott sie so geschaffen habe. Eines der Kinder hat dem aber widersprochen und meinte, daß sei nur, weil die Schwarzen immer für die Weißen waschen und putzen würden. Davon würden die Handflächen dann immer heller. Dies habe sie sehr gekränkt, aber es seien halt Kinder, die es so von ihren Eltern gelernt hätten.
Nach dem Mittagessen bei Errol fahren wir nach Strand zum Strand (kein Fehler, der Ort an der False Bay heißt wirklich Strand). Der Sandstrand ist ewig lang und noch relativ leer. Die meisten Leute gehen nur spazieren, statt sich in die Sonne zu legen, so auch wir.
Abends im Backpackers spielen noch einige Leute Risiko, ein Spiel, daß ich schon ewig nicht mehr gespielt habe. Leider kennt aber keiner mehr die Regeln so genau und die Spielanleitung ist auch nicht mehr existent. Da werde ich morgen wohl mal im Internet recherchieren müssen. Morgen ist aber eine neue Woche und ich habe für diese auch schon genug geschrieben. Also bis bald ...
Durch eine Email erfahre ich in dieser Woche vom Tod eines Lehrers und Pfadfinderleiters aus Mpumalanga, den ich noch im April in Deutschland kennengelernt hatte. Er war am Freitag auf dem Weg zur Kirche überfallen worden und ist am Sonntag im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Nach den 6 Wochen, die ich nun in Kapstadt bin, hatte ich mich schon fast an die täglichen Meldungen über Gewalt und Verbrechen in den Zeitungen gewöhnt und sie mehr oder weniger gleichgültig als Teil des Südafrikanischen Alltags hingenommen. Kennt man dann aber die Opfer und sind es dann auch noch Menschen, die ihr Leben dem Aufbau einer besseren Gesellschaft in diesem Land gewidmet haben, ist plötzlich alles wieder anderes. Dann fragt man sich wieder, ob dieses wunderbare Land irgendwann einmal aus diesem Sumpf von Armut, Verbrechen, Gewalt, Korruption und Aids herauskommen wird. Hoffentlich, es hat es verdient!
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--- (c) Frank Unland, 2000